Pigment trifft Pixel

Der Einfluss KI-generierter Bilder auf die zeitgenössische Malerei
von Uwe Düker (nicht KI)

Noch nie war der Schritt von der Idee zum Bild so kurz wie heute. Während Malerinnen früher Skizzenbücher füllten, liefert eine Texteingabe in Midjourney oder Stable Diffusion binnen Sekunden Dutzende Entwürfe. Für manche Atelierbesucherinnen wirkt das wie Zauberei, für andere wie ein Angriff auf das jahrhundertealte Handwerk. Mein folgende Beitrag ordnet die Debatte kunsthistorisch ein, analysiert Chancen und Risiken und zeichnet Zukunftsszenarien nach – stets mit dem Blick auf die unterschiedlichen Perspektiven von Künstlerinnen, Kuratorinnen, Sammlerinnen und Technik-Entwicklerinnen, denn ich male selber noch ganz konventionell.

Von der Plotter-Grafik zum Prompt

Algorithmische Kunst ist keine Erfindung der Gegenwart. Bereits in den 1960er-Jahren programmierte Vera Molnár Linien, die sich selbständig über das Plotterpapier tanzten, Frieder Nake schrieb Code-Gedichte in Form stochastischer Zeichnungen. Neu ist jedoch der Grad an Autonomie, den heutige Diffusionsmodelle besitzen. Sie arbeiten nicht mehr mit abstrakten Formen, sondern mit Milliarden realer Bildfragmente, die aus dem Netz gescrapet wurden. Das Resultat: ein visuelles Vokabular, das vom Barock bis zur Post-Internet-Ästhetik reicht – verfügbar auf Zuruf. Damit verschiebt sich die Schwelle von der Expertinnentechnologie zum Massenphänomen; prompten kann jeder, der*die einen Browser bedienen kann.

Transformation der künstlerischen Praxis

2.1 Ideeninkubator statt Ersatzpinsel

Viele Maler*innen nutzen KI derzeit als externes Skizzenbuch. Sie beschreiben eine Lichtstimmung, einen historischen Stil oder eine emotionale Atmosphäre und lassen sich von den Vorschlägen überraschen. Die KI fungiert so als „kreativer Widerpart“, der Assoziationen freisetzt, an die man selbst nicht gedacht hätte. „Ich übermale maximal 20 % des Outputs“, sagte mir eine Freundin. „Aber ohne die zufälligen Verformungen der KI hätte ich die Komposition nie gefunden.“ Diese ko-kreative Haltung betrachtet die Maschine als Sparringspartnerin, nicht als Konkurrentin.

2.2 Over-Painting und Mixed Media

Ein wachsender Trend ist das UV-Printing von KI-Bildern auf Leinwand oder Aluminium, gefolgt von malerischer Überarbeitung. Hier verschwimmen Materialgrenzen: Pixel werden Pigment, Pigment schlägt zurück. Kritikerinnen attestieren solchen Werken mitunter „Photoshop-Patina“, doch Befürworterinnen feiern die Rückkehr zur Handarbeit, weil das Digitale erst durch physische Eingriffe zur Unikats-Aura gelangt.

2.3 Gefahr der Entscheidungsparalyse

Je mehr Varianten die Software ausspuckt, desto schwieriger wird die Auswahl. Kunstpsycholog*innen verweisen auf das Paradoxon der Wahl: Überangebot kann Kreativität blockieren. Einige Hochschulen lehren daher „Prompt-Disziplin“ – maximal fünf Durchläufe, dann Skizzieren mit der Hand.

Ästhetische Verschiebungen

Hyperrealistische Oberflächen, traumartige Morphologien und hybride Stilzitate prägen derzeit die KI-Ikonografie. Die malerische Reaktion fällt zwiegespalten aus:

  • Aneignung: Surrealistinnen übernehmen die fließenden Übergänge zwischen Figur und Hintergrund.
  • Kontrastierung: Materialpuristinnen setzen bewusst auf grobe Pinselspuren, sichtbare Fehler, dicken Firnis – das „Haptische als Widerstand“.
  • Sublimation: Konzeptkünstlerinnen lagern die KI-Bilder als nicht sichtbaren Ideenteppich im Hintergrund und zeigen nur die händische Umsetzung.

Ein wiederkehrender Vorwurf lautet „KI-Ästhetik-Uniformität“: weiche Lichtquellen, glühende Farbränder, ein Hang zu Cinematic Glow. Doch uniform war auch die frühe Ölmalerei, bevor sich Stilpluralität durchsetzte. Ob die KI-Patina nur eine Übergangsphase ist, hängt davon ab, wie experimentierfreudig Künstler*innen ihre Daten-Sets kuratieren.

Ökonomische Implikationen

4.1 Marktpolarisation

Christie’s versteigert KI-Porträts zu sechsstelligen Beträgen, während sich gleichzeitig eine Gegenbewegung formiert: Sammlerinnen zahlen erneut Spitzenpreise für nachweislich analoge Unikate. Der Markt spaltet sich in „phygitale“ Mischformen (NFT + Leinwand) und bewusst materialbetonte Positionen. Kuratorinnen stehen vor der Aufgabe, technische Faszination und inhaltliche Tiefe gegeneinander abzuwägen.

4.2 Neue Wertschöpfungsketten

Prompt-Designerin, Modell-Kuratorin, Daten-Restauratorin – Berufe, die es vor fünf Jahren nicht gab, finden sich plötzlich in Künstlerinnenkollektiven wieder. Gleichzeitig bedroht KI Stock-Fotografie und konventionelle Concept Art, was zu Preisverfall und Jobverlust in angrenzenden Branchen führen kann.

Autorschaft, Recht und Ethik

5.1 Wer signiert das Bild?

Rechtsordnungen weltweit ringen um Antworten. In den USA verweigern Gerichte KI-Werken bislang den Copyright-Schutz, in Japan wird über ein neues Leistungsschutzrecht diskutiert. Währenddessen entwickeln Start-ups wie Spawning.ai Opt-Out-Datenbanken, die Künstler*innen erlauben, ihre Arbeiten aus Trainingssets löschen zu lassen.

5.2 Bias und kulturelle Stereotype

Modelle reproduzieren dominante Bildwelten: westliche Schönheitsideale, sexuelle Objektivierung, exotisierende Tropen. Maler*innen, die KI nutzen, tragen Verantwortung, diese Voreingenommenheiten zu erkennen und, wenn nötig, subversiv zu brechen. Erste Hochschulseminare kombinieren Prompt Writing mit Critical Race Theory, um sensibilisierte Bildpraktiken zu fördern.

5.3 Ökologische Bilanz

Droht der Kunst ein CO₂-Backlash? Eine einmalige Modellerstellung verbraucht so viel Energie wie ein transatlantischer Flug. Gegenübergestellt werden jedoch auch Pigmentabbau, Terpentin-Ausdünstungen und Transportkosten traditioneller Malerei. Forschende plädieren für „Low-Energy-Inference“ und grüne Rechenzentren.

Pädagogische Perspektiven

Kunsthochschulen stehen vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen klassische Fähigkeiten – Komposition, Farbtheorie, Materialkunde – lehren und gleichzeitig das Prompten, die Datenethik und die kritische Medienkunde integrieren. Erfolgreiche Pilotprogramme setzen auf Teamteaching: Informatikerinnen erklären Vektorräume, Kunsthistorikerinnen liefern ikonografische Tiefe, und Maler*innen übersetzen das Ganze in die Praxis.

Blick nach vorn

7.1 Echtzeit-Co-Creation

Performative Settings, in denen das Publikum live Prompts einspeist und Künstler*innen auf ein LED-Canvas malen, verschieben die Grenze zwischen Werk und Event. Das Kunstwerk wird Prozess, nicht Produkt.

7.2 Personalised Fine Art

Auf Basis persönlicher Foto-Archive generiert die KI Motive, die Maler*in materialisiert. Damit verschiebt sich die Frage der Privatsphäre in den Kunstraum: Wem gehört ein Bild, das auf meinen Daten basiert?

7.3 Post-AI-Authentizität

Zwei Szenarien sind denkbar. Erstens eine Renaissance des Monochromen, des Reduzierten, als Gegenreaktion auf visuelle Überfülle. Zweitens eine totale Verschmelzung: smarte Pigmente, die sich per App umlackieren, kombiniert mit generativen Algorithmen, die das Bild situativ anpassen – Malerei als lebendes System.

Die KI ist weder Heilsbringerin noch Totengräberin der Malerei. Sie ist ein Katalysator, der die Karten neu mischt: Prozesse beschleunigen sich, Berufsbilder wandeln sich, ästhetische Klischees werden herausgefordert – und reproduziert. Entscheidend wird sein, ob Künstler*innen, Ausbildungseinrichtungen und Märkte die Technologie reflektiert einsetzen: als Werkzeug, nicht als Selbstzweck. Nur dann bleibt Raum für die ureigene Stärke der Malerei: das sinnliche Spiel von Körper, Material und Zeit, das keine Maschine vollständig simulieren kann.

Quellennachweise und weiterführende Literatur.

BÜCHER

  • Manovich, Lev (2019): AI Aesthetics. London / Cambridge (MA): MIT Press.
    Grundlagentext des Medienwissenschaftlers; erläutert, wie sich ästhetische Kriterien durch maschinelles Sehen verschieben.
  • Cascone, Kim (Hg.) (2023): The Aesthetics of AI Art. Bielefeld: transcript.
    Sammelband mit Beiträgen von Künstlerinnen und Theoretikerinnen; behandelt Praxis, Theorie und Ethik generativer Modelle.
  • Zeidler, Nikolaus; Reinhold, Anja (2022): Kunst und Künstliche Intelligenz. München: kopaed.
    Deutsches Überblickswerk, das Malerei, Musik und Performance vergleicht; Kapitel 3 fokussiert „Malen mit GANs und Diffusion“.
  • Hertzmann, Aaron (2020): Algorithmic Art and Creativity. New York: Springer.
    Informatiker und Künstler; verbindet technische Funktionsweisen (GAN, Diffusion) mit kunsthistorischen Beispielen.
  • Elgammal, Ahmed (2021): The Painterly Machine – Art History and the Age of AI. New Haven: Yale University Press.
    Untersucht, inwiefern KI den Kanon der Malerei erweitert beziehungsweise reproduziert.
  • Frieder, Norbert u. a. (Hg.) (2021): Generative Kunst. Berlin: De Gruyter.
    Historische Tiefe (Nake, Molnár, Cohen) bis zu heutigen Diffusions­modellen; reich bebildert.